Seit Dienstag drücken die ersten Schüler wieder die Schulbank – und über allem schwebt die Coronakrise. Trotzdem hat der erste Schultag nichts von seinem Zauber verloren. Ein Besuch im Königlichen Athenäum Eupen.
Ob sie aufgeregt sei? „Ja, ziemlich“, verrät Anaïs Kaldenbach mit einem schüchternen Lächeln. „Ich war auch erst ganz spät im Bett, weil ich nicht einschlafen konnte.“
Der erste Tag nach den Sommerferien ist immer etwas besonderes, nicht nur für Erstklässler, sondern auch für alle frischgebackenen Sekundarschüler, die fortan ganz anderen Leistungsansprüchen gerecht werden müssen, als sie es aus der Primarschule gewohnt sind. Anaïs Kaldenbach holt eine rosafarbene Stoffmaske aus ihrer Jackentasche und zieht sie sich über Mund und Nase. Im Laufe der nächsten Stunden wird sie diese nur noch selten abnehmen: Im gesamten Schulgebäude gilt ab heute Maskenpflicht. Große Bedenken hat sie deswegen nicht. „Das wird kein Problem sein“, ist die Elfjährige überzeugt. Wesentlich schwerer werde es ihr fallen, ihre Freundinnen, die sie seit Monaten nicht gesehen hat, aus der Ferne statt mit einer herzlichen Umarmung zu begrüßen. Vater Horst Kaldenbach hält die Maskenpflicht für „unverhältnismäßig“, wo man doch ebenso gut Abstand halten könnte in den Klassen. „Der Sinn erschließt sich mir nicht ganz“, kritisiert er.
Für Schülerin Mona Milanowski ist die Maskenpflicht „kein Riesenthema“.
Sinn und Zweck der Maskenpflicht ist, das Infektionsrisiko auf ein Minimum zu reduzieren. Abstand halten und regelmäßiges Händewaschen haben dennoch weiterhin oberste Priorität.
Auch Mona Malinowski hat heute ihren „Ersten“. Die Zwölfjährige Raerenerin fühlt sich ein bisschen in der Zeit zurückversetzt. „Es ist total aufregend, wie bei meiner Einschulung“, erinnert sie sich und erzählt stolz: „Ich habe sogar eine kleine Schultüte bekommen.“ Die Maskenpflicht sei für sie „kein Riesenthema“. „Ich bin sicher, dass ich mich schnell daran gewöhnen werde.“ Eine Wahl hat sie ohnehin nicht.
Die Maskenpflicht hatte teils heftige Reaktionen bei Eltern ausgelöst. „Über Sinn und Unsinn der Maßnahme lässt sich sicher streiten, aber ich bin heilfroh, dass die Schule überhaupt wieder beginnen kann“, sagt Ann Vanhees, Mutter von Schülerin Mona und Niederländisch-Lehrerin am Königlichen Athenäum Eupen. Während des Unterrichts wird die 39-Jährige ein Visier tragen, es sei denn, sie kann den Anderthalbmeterabstand nicht einhalten, dann muss eine Maske her. Besonders im Sprachunterricht sei es unerlässlich, dass die Schüler die genaue Artikulation der Wörter, unterstützend zur Akustik, an den Lippen ablesen können.
Mit ihren eigenen Schülern habe der Heimunterricht zuletzt „gut funktioniert“, sagt Vanhees, dennoch befürchtet sie, dass „man gravierende Wissensunterschiede feststellen wird, je nachdem ob Schüler während der Ausgangssperre zu Hause gefördert wurden oder nicht“.
Auf genau diesen Fall sei die Schule vorbereitet, versichert Michael McCrea, stellvertretender Direktor: „Wir holen die Schüler dort ab, wo sie vor der Ausgangssperre stehen geblieben sind.“ In den vergangenen Wochen habe sich das Lehrerkollegium umfassend über den Wissensstand seiner künftigen Schützlinge informiert und Lehrpläne dementsprechend angepasst. Sobald alle Schüler mehr oder weniger auf dem gleichen Wissensstand sind, wird zum normalen Lehrplan übergegangen.
Auch Schulleiter Etienne Gengler startet mit Zuversicht ins neue Schuljahr. Trotz der außergewöhnlichen Umstände, die die Coronakrise mit sich bringt, sei es gelungen, den Schulalltag „so normal wie möglich zu gestalten“: „Wir machen das beste aus der Situation und versuchen, sie so gut es geht zu bewältigen.“ Über die Maskenpflicht hinaus gibt es nur wenige Einschränkungen. So finden außerschulische Aktivitäten wie Klassenfahrten, vorerst nicht statt, und im Sportunterricht wird Kontaktsport vermieden. Doch die Pandemie habe auch ihr Gutes, sagt Michael McCrea: „Die Coronakrise hat uns damals eiskalt erwischt. Wir waren darauf nicht vorbereitet, haben aber daraus gelernt.“ Die Konsequenz: In den kommenden Wochen sollen die Schüler den Umgang mit der digitalen Kommunikationssoftware Microsoft Teams lernen – für den Fall, dass eine erneute Schulschließung von Nöten sein sollte.
Bei Corona-Verdachtsfällen möchte die Schulleitung schnell und gezielt handeln. „In Absprache mit Kaleido und der DG entscheiden wir dann, wie wir weiter vorgehen“, sagt McCrea. Ebenso habe die Schule die Bedenken vieler Eltern in Bezug auf die Maskenpflicht zur Kenntnis genommen: „Ich verstehe, dass einige Eltern nicht glücklich darüber sind, aber der Schulalltag muss irgendwie weitergehen. Und wenn das die Bedingung ist, müssen wir da alle durch“, sagt Etienne Gengler. Der 58-Jährige legt großen Wert darauf, dass die 850 Schüler die Pausen zum Durchatmen nutzen – auch die kleine Fünfminuten-Pause, die nach jeder Schulstunde eingelegt wird. „Genau genommen beenden wir die Stunde fünf Minuten eher. In dieser Zeit wird stoßgelüftet und die Schüler können ihre Maske, insofern sie an ihrem Platz sitzen bleiben, kurz abnehmen.“
Auch auf dem Pausenhof dürfen sich die Schüler frei und ohne Maske bewegen. Und wenn es mal in Strömen regnet oder gar schneit? „Es können sich nicht alle Schüler gleichzeitig in der Aula aufhalten und draußen gibt es bislang keine Unterstellmöglichkeit. Da müssen wir dann kreativ werden“, sagt Gengler und zuckt mit den Schultern. „Wir werden sehen, wie sich alles einspielt und Lösungen für Probleme finden, die sich ergeben.“
Inzwischen haben sich die 164 Schüler des ersten Jahres auf den Weg in ihre Klassenräume gemacht. „Bitte rechts halten“, ermahnt eine Lehrerin eine Schülergruppe. Damit sie sich auf den Gängen und im Treppenhaus nicht wild kreuzen, kennzeichnen bunte Pfeile die Verkehrsrichtung. Zahlreiche Aushänge weisen auf die bekannten Hygienemaßnahmen hin: Abstand halten und Hände waschen. Anaïs und Mona haben an einem Doppelpult Platz genommen. Im Idealfall bleibt die Sitzordnung für den Rest des Schuljahres bestehen.
Nach etwas mehr als drei Stunden Masketragen ist der erste Schultag geschafft – und Schülerin Mona auch. Was die Maskenpflicht angeht, so bleibt sie bei ihrer Meinung vom Morgen, obschon sie eingestehen muss: „Es war anstrengend, aber in Ordnung“.
Quelle: https://www.grenzecho.net/41217/artikel/2020-09-01/maske-macht-schule